„Wir brauchen eine digitale Agenda für das Recht“

Datum des Artikels 29.03.2018

Justizministerin Eva Kühne-Hörmann über Botnetze und andere Ärgernisse

Frau Kühne-Hörmann, Sie kritisieren digitale Strafbarkeitslücken im deutschen Rechtssystem. Wie sehen diese Defizite nach Ihrer Beobachtung in der Praxis aus?

Neue Techniken erfordern, dass wir uns rechtlich auf die veränderte Situation einstellen. Insofern geht es um eine digitale Agenda für das Recht. Dabei müssen wir Sachverhalte unter Strafe stellen, die teilweise derzeit (noch) nicht strafbar sind.

Was konkret fällt darunter?

Um einen neuen Tatbestand handelt es sich beispielsweise bei der Datenhehlerei im Internet. Das Weiterleiten unrechtmäßig beschaffter Daten war lange Zeit nicht strafbar; jetzt ist das anders geworden. Ein anderer Punkt betrifft das widerrechtliche Zusammenschließen von Computern zu sogenannten Botnetzen. Dazu haben wir eine Initiative auf den Weg gebracht.

Was bringt der genannte Schritt den Unternehmen?

Eine ganze Menge. Derjenige, der mit seinem Kunden verhandelt, sollte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich untersagen, dass mit Botnetzen gearbeitet wird. Tut er das, kann er künftig darauf setzen, dass die, die dagegen verstoßen und ausfindig gemacht werden, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Welchen Rat geben Sie Firmen, die sich Angriffen im Internet ausgesetzt sehen?

Wenn ein Unternehmen feststellt, dass es angegriffen wird oder angegriffen worden ist, so rate ich, dass es sich mit der Zentralstelle für Internetkriminalität in Verbindung setzt. Dort sollte der Unternehmer Anzeige erstatten. Dann können die Staatsanwälte der Einrichtung Ermittlungen aufnehmen und ein entsprechendes Verfahren einleiten. 

Warum sollte ein Unternehmen das tun, wenn schon der durchschnittliche PC-Anwender eher davor zurückschreckt, sich bei einer digitalen Attacke auf seine Privatsphäre an die Behörden zu wenden?

Für umso wichtiger halte ich es, dass Unternehmen noch deutlicher die Wege aufgezeigt werden, wohin sie sich in einem solchen Fall wenden können. Das Image eines Unternehmens darf nicht dadurch Schaden nehmen, dass es sich in dem Kontext outet. Darüber hinaus müssen wir von staatlicher Seite mehr in die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung investieren, damit Firmen in den genannten Fällen noch wirkungsvoller geholfen werden kann.

Wenden wir den Blick vom Strafrecht ab und dem bürokratischen Dschungel zu. An der Stelle hilft mitunter der Blick über nationale Grenzen hinweg. Die baltischen Staaten setzen Maßstäbe. Wie sehen Sie das?

Schauen Sie nach Estland. Die Esten verfügen über ein System, das es er
möglicht, vergleichsweise rasch online Eingaben zu machen – um beispielsweise schnell und unkompliziert ein Unternehmen zu gründen.   
Überhaupt sind sie bei der Weitergabe der Daten sehr modern aufgestellt. Das bedeutet, dass definierte Daten einmal hinterlegt und gesichert werden. Die Behörden können innerhalb eines klar definierten Segments darauf zugreifen. Damit vermeidet der Unternehmer, der mit vielen amtlichen Stellen zu tun hat, dass er jedes Mal aufs Neue seine relevanten Daten an- bzw. einzugeben hat. In der Hinsicht lohnt sich der Erfahrungsaustausch, da können wir von den Esten lernen – im Sinne der Entbürokratisierung, hin zu größerer Effizienz. • ralo

Den Einsatz erhöhen: „Wir müssen mehr in die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung investieren, damit Firmen wirkungsvoller geholfen werden kann.“

Hohe Verluste durch   Wirtschaftskriminalität „Sechs Milliarden Euro verlieren die deutschen Unternehmen pro Jahr durch Delikte der Wirtschaftskriminalität“, erläuterte der Kasseler MIT-Vorsitzende Stefan Sotzek. Fotos: Markus Frohme / nh.

MIT-Veranstaltung bei Starke+Reichert beschäftigt sich mit Cyber-Attacken

Gegen den virtuellen Hausfriedensbruch

Die Wirtschaftskriminalität stand im Fokus einer Veranstaltung der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, MIT, bei der Kasseler Firma Starke+Reichert. Die weltweit häufigsten Straftaten in dem Zusammenhang sind Vermögensdelikte wie Untreue und Unterschlagung, Betrug in der Beschaffungskette, Bestechung und Korruption, Cyberkriminalität sowie Bilanzdelikte.

Die Schäden sind erheblich: Sechs Milliarden Euro verlieren deutsche Unternehmen jährlich allein durch aufgedeckte Delikte. „Diese Summe enthält direkte finanzielle Schäden wie auch Kosten, die der Reputationsverlust, beeinträchtigte Geschäftsbeziehungen sowie Investitionen in PR und Rechtsbeistand mit sich bringen – und nicht zuletzt den zeitlichen Aufwand des Managements“, so der Kasseler MIT-Vorsitzende Stefan Sotzek.

In ihrem Vortrag beschäftigte sich die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann mit Fragen rund um das sogenannte Cybercrime – siehe Interview auf Seite 40 und 41. Hausherr Dr. Felix Reichert gab praktische Tipps, wie Cyber-Attacken zu begegnen ist. Er wies auf Risiken hin und machte deutlich, dass die immer populärer werdende Cloud Chancen wie Gefahren mit sich bringe. Attacken drohen im Hinblick auf die Soft- und Hardware sowie die physikalische Ebene. IT-Verantwortliche sollten Haftungsfragen ernst nehmen; immerhin drohten Bußgelder bis zu 250.000 Euro sowie Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren. Als hilfreich erweisen sich aus der Sicht des Managers IT-Sicherheitschecks und entsprechende Audits bzw. Tests. Darüber hinaus sollte jedes verantwortungsbewusste Unternehmen über ein IT-Notfallhandbuch verfügen, um im Fall der Fälle klare Abläufe und Zuständigkeiten zu kennen. „Doch ein Restrisiko bleibt“, so Reichert.

Hinweis der Redaktion: In der nächsten Ausgabe lesen Sie ein Interview mit Michael Kramer, IT-Chef bei AKG in Hofgeismar. Er erläutert, wie sein Unternehmen die Mitarbeiter regelmäßig schult, um sich vor Cyber-Attacken zu schützen.  • ralo
BUSINESS

Pro Mittelstand

Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, MIT, der Stadt Kassel versteht sich als unabhängige Organisation mit Tradition. „Wir setzen uns regional wie hessenweit für die Belange des Mittelstandes ein“, erklärt der Vorsitzende Stefan Sotzek. Ihren Mitgliedern bietet die MIT regelmäßige Veranstaltungen zu gesellschaftlichen, kulturellen, sportlichen und politischen Themen. In den nächsten Monaten wird es um Wirtschafts-und Cyberkriminalität, die Digitalisierung im Wandel der Zeit, Unternehmensbesuche und die documenta gehen. Dem Vorstand gehören neben Sotzek  aktuell Matthias Adamietz, Thomas Schönewald, Eugen Jung, Waltraud  Stähling-Dittmann sowie Thomas Träbing an.
Hohe Verluste durch   Wirtschaftskriminalität „Sechs Milliarden Euro verlieren die deutschen Unternehmen pro Jahr durch Delikte der Wirtschaftskriminalität“, erläuterte der Kasseler MIT-Vorsitzende Stefan Sotzek. Fotos: Markus Frohme / nh.